Kabinettausstellung
Stadtansicht Dorpat mit Steinbrücke, Herder-Institut, Marburg, Bildarchiv, Inv.-Nr. 149360, Foto: Schulz, vor 1889.

Das alte Dorpat 1889. Tartu in Fotografien des Ateliers Carl Schulz

2.11.2024 – 2.2.2025

Im Jahr 1889 wurde zur Erinnerung an das Dorpater Lehrerseminar eine einmalige Mappe zusammengestellt. Sie enthält 61 Fotografien, die in Sepia-Tönen Aufnahmen der Stadt Dorpat/Tartu zeigen. Es sind Ansichten von Straßen, Menschen, Häusern,Kirchen, Brücken und Denkmälern; sie zeigen den das Stadtbild prägenden Fluß Embach/Emajögi, den Domberg und das „Heidelberg des Nordens“ – die zu diesem Zeitpunkt noch deutschsprachige Universität Dorpat.

Als herausragende Bildungseinrichtung zwischen West und Ost wurde sie 1893 zur „Kaiserlichen Universität Jurjew“ und ist zugleich Geburtsort der estnischen und lettischen Nationalbewegung im russischen Zarenreich, zu dem Dorpat als Teil des Ostseegouvernements Livland damals gehörte.

Die Stadt hatte zur Zeit der Aufnahmen ca. 36.000 Einwohner. 1881 machte der Anteil der Esten schon um die 55 Prozent aus, der der Deutschen 35 Prozent, Tendenz fallend. Die Bilder dokumentieren also auch eine Stadt im Umbruch.

Die frühen Aufnahmen der Stadt Dorpat wurden vom Fotoatelier Carl Schulz gefertigt. Der gleichnamige Gründer brachte sein Geschäft durch innovative Fototechniken in den 1870er Jahren voran. Insbesondere seine Hinwendung zur Architektur- und Landschaftsfotografie machten sein Atelier über seinen Tod 1884 hinaus zum führenden Anbieter von Stadtansichten in Dorpat.

Unter seinem Sohn Arthur, der 1886 erneut in Dorpat eine Filiale des mittlerweile nach Riga verlegten Firmensitzes eröffnete, erfolgte eine fotografische Erneuerung des Ansichten-Sortiments. Es darf vermutet werden, dass er der Fotograf vieler Aufnahmen aus der hier gezeigten Mappe „Erinnerung an Dorpat 1889“ ist, selbst wenn einige der darin enthaltenen Motive schon seit 1871 in den Werbeanzeigen des Ateliers angeboten wurden und somit älter sein könnten.

Das Atelier spielte für die Geschichte der Fotografie Estlands eine herausragende Rolle, denn von allen Fotogeschäften des Landes wurde es am längsten unter einem Namen geführt. Es existierte von 1857 bis 1935 und erlebte den offiziellen Wechsel der Städtenamen von Dorpat zu Jurjew und schließlich zu Tartu mit.

Die Ausstellung, die in Kooperation mit dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg, gezeigt wird, präsentiert Fotos aus der Erinnerungsmappe des Lehrerseminars von 1889 als Originale wie auch als vergrößerte Repliken. Die visuellen Zeugnisse lassen die gemeinsame deutsch-estnische Vergangenheit lebendig werden. Heute wird die Verbindung durch die Partnerstädte Tartu und Lüneburg fortgeführt. Als europäische Kulturhauptstadt genießt Tartu dieses Jahr besondere Aufmerksamkeit.